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Zivi-Rundbrief: Lukas letzter Bericht als AMPO-Zivi in Ouagadougou

8056 Kilometer

So steht es nach fast 13 Monaten auf dem Kilometerzähler meines Motorrads. Das sind etwas mehr als 20 Kilometer, die ich pro Tag in Ouagadougou zurückgelegt habe. Wohl kein einziges Mal, ohne an nicht mindestens einem Unfall vorbeizukommen. Einen davon habe ich passieren sehen und so bleibt er mir in Erinnerung: An einer roten Ampel stehend, die Gedanken irgendwo verloren, nähert sich von hinten ein Roller, kommt beim Abbremsen ins Schlingern und überschlägt sich. Etwa 5 Meter entfernt von mir bleibt die Fahrerin, eine junge Frau in meinem Alter, liegen. Und stirbt. Ich denke oft an diesen Moment zurück, an dieses unerwartete Lebensende. Daran, wie hilflos ich neben dieser sterbenden Frau stand. Frage mich nach einem Sinn, und ernte jedes Mal weitere Fragen. Wie einfach aus Heiterkeit Trauer und aus Leben Tod werden kann. Unfassbar. Ich danke meinem Schutzengel, dass er mich all die Zeit auf meinem Motorrad so treu begleitet hat.

Die meisten Erlebnisse, die mir während meiner Zeit in Burkina meine Grenzen aufgezeigt haben, waren weniger existentiell, weniger dramatisch. Oftmals sogar banal und alltäglich, sie hätten sich genauso, zumindest aber ähnlich in Deutschland zuspielen können. Was tun zum Beispiel, wenn ein Kind sich partout nicht so verhalten will, wie man es möchte? Wenn kein freundliches Zureden, kein Locken und auch kein Drohen mehr hilft und man merkt, dass einem langsam aber sicher die Geduld ausgeht? Was tun, wenn der Mechaniker zum dritten mal innerhalb einer Woche die Lichtanlage reparieren muss, fünf Stunden später als vereinbart kommt und (zum dritten Mal) behauptet, die Scheinwerfer würden nun bis zum Erreichen des Paradieses halten- und wenn dann beim Starten des Motos die Glühbirnen, einer stillen Absprache folgend, eine nach der anderen durchbrennen? Oh, wie habe ich da zu angefangen zu schreien. Aus Verzweiflung, aus Wut über eine solches Maß an Unfähigkeit, Trägheit und Stillstand. Ob man in solchen Momenten sein Gegenüber aufwecken will oder nur die eigene Wut über die Willkür dieses Landes herausbrüllen muss – Ich weiß es nicht und sicher ist das eine auch ebenso sinnlos wie das andere. Aber es ist eine dieser typischen Geschichten, welche sich stets ein wenig abgewandelt wiederholen und einen jungen Deutschen in Afrika von Zeit zu Zeit in den Wahnsinn treiben. Manchmal liegt die Lösung solcher Herausforderungen geradezu auf der Hand: ein viertes Mal habe ich den gleichen Mechaniker zum Beispiel nicht aufgesucht; Manchmal ist es wesentlich schwerer: ich konnte weder einzelne Kinder auswechseln, noch wollte ich es. Aber genauso wenig konnte ich mir auf die Schnelle mehr pädagogisches Geschick aneignen- geholfen hat die ein oder andere Nachfrage bei den Erziehern und den Psychologen, denn jedes Kind hat seine eigene (oftmals unfassbar traurige) Geschichte. Andere Herausforderungen habe ich noch nicht bewältigen können und auch das passt zu dem Bild eines Zivi-Lehrjahres; es gibt lehrreichen Stoff, weit
über 13 Monate heraus.

Natürlich ist ein Zivildienst in Ouagadougou keine Aneinanderreihung von Grenzerfahrungen. Aber zwischen all den unvergesslich schönen Momenten die ich hier erleben durfte, sind es im Rückblick vor allem solche Erlebnisse, bei denen ich an innere Grenzen geklopft habe, die mich grade bewegen, sie niederzuschreiben – wohl einfach aus dem Grund, weil sie noch nicht abgeschlossen sind, weil die Erfahrungen als solche vielleicht gar nicht so existentiell, so final waren wie eben noch gedacht. Weil ich ahne, dass eine Grenze kein Ende bedeutet, dass dahinter neues Land anfängt und sei es das Land der Intoleranz, der Machtlosigkeit oder der Verführbarkeit. Diese 13 Monate haben mir auch Einblicke in innere Abgründe verschafft, für die ich durchaus dankbar bin.

8056 Kilometer. Das entspricht einer Wegstrecke, die Afrika vom nördlichsten zum südlichsten Punkt durchmisst. Soviel ich an mir selbst entdecken durfte während meiner Zivi-Zeit, so wenig habe ich vom weiten, großen Afrika gesehen. Viel gereist bin nämlich nicht. Eine 2-wöchige Tour durch Togo und Ghana, eine Reise in den Osten von Burkina sowie einen Ausflug in einen Nationalpark im Süden des Landes. Stattdessen habe ich viel gearbeitet, es genossen das alltägliche Leben Afrikas in einer Art Mikrokosmos zu beobachten- denn nichts anderes ist ein Waisenhaus mit 400 Schutzbefohlenen sowie über 80 Angestellten. Burkina Faso ist schon ein verrücktes Land: Seit 2 Wochen gibt es beispielsweise kein Gas mehr in Ouaga, das erinnert an die Zustände im April, wo 2 der 3 Dieselgeneratoren der staatlichen Elektrizitätswerke ausgefallen sind. Nicht weiter schlimm, man teilte die Stadt in zwei Hälften und dann dufte ich mich auf 12 Stunden Strom pro Tag freuen. Wenn alles gut ging. Nur arbeiten wird dann natürlich schwerer, bei 45 Grad im Schatten, wenn dich kein Ventilator, keine Klimaanlage mehr vor dem Verdampfen im Büro retten kann. Fortschritt sieht anders aus, scheint fast unmöglich unter diesen Bedingungen. Manchmal vergesse ich, dass ich im drittärmsten Land der Welt lebe (wobei der Unterschied zu den anderen 20 sehr armen Staaten sicher nur gering ist). Auf den Boden der Realität zurückgeholt werde ich dann allerdings spätestens Abends, wenn ich von der Arbeit zurückfahre und die Studenten und Schüler bereits im Licht der Straßenlampen lernen, da es bei ihnen Zuhause keinen Strom gibt und das schwache Licht der Straßenlampen noch besser ist als das Licht der Petroleumlampen – denn es kostet nichts. Dafür werden dann auch die Geräusche von abertausenden vorbeifahrenden Mofas und Autos in Kauf genommen. Genauso wache ich auch jedes Mal auf, wenn das Benzin mit einer Handpumpe in mein Motorrad gepumpt wird oder ein Eselkarren mir die Vorfahrt nehmen will. Es bleibt natürlich die Frage ob es überall auf dem schwarzen Kontinent so ähnlich aussieht wie in Burkina Faso. Im Nachhinein bereue ich es deshalb ein wenig, mich irgendwie zu oft von einer Art Pflichtgefühlt hab übermannen lassen. Auf der anderen Seite bin ich jetzt 20 Jahre alt und so bleibt ja auch noch ein wenig Zeit, die anderen Länder Afrikas zu bereisen.

8056 Kilometer. Die Hälfte davon entspricht der Strecke Ougadougou – Paris (Luftlinie). Bereits am Montag werde ich diese Distanz hinter mich bringen um meine Zelte für einige Zeit wieder in Deutschland aufzuschlagen, ehe es weiter nach Frankreich geht. Ich freue mich sehr auf meine Heimat und verlasse AMPO deswegen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Mein Dank gilt den tollen Menschen in Burkina Faso, meinen Kollegen, den AMPO-Direktoren, Katrin, meinen beiden Mit-Zivis sowie meinem Mitbewohner Timo. Auch gilt er Sabine und Ricarda in der Sahel- Geschäftsstelle in Plön sowie meinen Spendern, mit denen alles angefangen hat und ohne deren Unterstützung all das nicht möglich gewesen wäre. Sie haben mir etwas Einmaliges ermöglicht, dessen Wert ich tatsächlich nur erahnen kann.

Bis bald ( in Deutschland)
euer Lukas

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